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Beethoven in German Politics, 1870-1989 |
MATTHIAS ALEXANDER, Frankfurter Allgemeine Zeitung, February 14, 1997 | History Home |
Beethoven als Titan, Revolutionaer und nordischer Speer David Dennis lauscht der ideologischen Notierung eines Mythos Tote Komponisten koennen die Anlaesse nicht bestimmen, zu denen ihre Musik ertoent. Der Meldung von Hitlers Tod im Reichssender folgte Beethovens Trauermarsch aus d er Eroica. Auch das Ende der zweiten Diktatur auf deutschem Boden wurde mit Werken des Bonner Meisters begangen, diesmal jedoch in Dur, mit Toenen der Freude. Barenboims und Bernsteins Berliner Konzerte im Herbst 1989 sind noch gut in Erinnerung. Dass die Dirigenten damals reine Beethoven-Programme waehlten, wunderte die Zuhoerer nicht, sie hatten es erwartet. Beethoven ist fuer viele Deutsche der politische Komponist schlechthin. Beinahe jede politische Bewegung hat sich schon auf seine vermeintliche Geis tesverwandtschaft berufen, um die eigene Ideologie zu legitimieren. \line \line Der amerikanische Historiker David B. Dennis hat es in einer knappen, auf reichem Quellenmaterial fussenden Studie unternommen, das Beethoven-Bild in der deutschen Politik von der Reichsg ruendung 1870/71 bis zur Wiedervereinigung nachzuzeichnen. Um Musik geht es ihm nur zu Beginn: Nach Dennis liegt der Ursprung der politischen Instrumentierung im elan vital, den Beethovens Musik - zumal die ungeraden Sinfonien, die Ouvertueren und der Fid elio - bei seinen Zuhoerern immer schon ausgeloest habe. Diese elektrisierende Wirkung ist zunaechst weltanschaulich neutral, macht aber die Musik fuer ideologische Besetzungen interessant. \line \line Um der Sprache der Musik die gewuenschte Bedeutung zu geben, grif f man auf passende politische Aeusserungen des Komponisten zurueck und liess das Widerstaendige fort. Beethoven bot vielen etwas: Anekdotenhaft sind Aussprueche ueberliefert, die auf eine revolutionaere, aber auch solche, die auf eine elitaere, proaristok ratische Haltung des Komponisten schliessen lassen. Ausgewaehlte Elemente aus Werk und Biographie wurden je nach Bedarf verschmolzen; fertig war der Mythos. \line \line Im Kaiserreich wurde Beethoven selten bei offiziellen Anlaessen gespielt. Der Bayreuther Wagnerkre is schaetzte ihn als Prototyp des "nordischen" Kuenstlers; sozialdemokratische Kulturpolitiker wie Kurt Eisner sahen ihn als Visionaer einer befreiten Menschheit. Beide Gruppen standen nicht im Zentrum der Macht, sondern attackierten die wilhelminische Ge sellschaft von ihren Raendern her. \line \line Als in der Weimarer Republik die politische Mitte in die Defensive geriet, steigerten die radikalen Ideologen die Attribute ihrer Beethoven-Mythen, die den Weg aus der Krise weisen sollten. Die Rechte feierte ihn als tit anische Kaempfernatur und erinnerte an seine vermeintliche Franzosenfeindschaft. Die Linke setzte den aesthetisch "revolutionaeren" Charakter seiner Musik mit ihrer politischen Wirkung gleich; Arbeiterchoere sangen jetzt bevorzugt Beethoven. Gegen solche Visionen pries Rathenau den Stoiker Beethoven, der vorgelebt habe, wie man widrigen Zeitlaeuften trotzt. \line \line Das Dritte Reich schaltete auch das Beethoven-Bild gleich. Zunaechst mussten die Bedenken einiger Rassenhygieniker ueber Beethovens Herkunft zum Schwe igen gebracht werden, dann war der Weg frei, den Komponisten als "Eroberer der Welt", als Fuehrerfigur zu stilisieren. Seine Werke dienten als Erkennungsmelodien von Wochenschauen. Schon 1937 fuehlte sich Goebbels seiner ideologischen Sache sicher genug, u m die Neunte Sinfonie aus Anlass von Hitlers Geburtstag spielen zu lassen - jenes Werk, das den Nationalsozialisten aufgrund der Schillerschen Ode lange gefaehrlich erschienen war, weil die Interpretation "aller Menschen" als Volksgemeinschaft doch allzu weit hergeholt wirken musste. \line \line Nach dem Krieg wurde Beethovens Musik in den Dienst der DDR-Propaganda gestellt und der Komponist als Kaempfer fuer den Weltfrieden stilisiert. Im Westen war man vorsichtiger. Zwar erklangen Werke Beethovens immer wieder zu o ffiziellen Anlaessen, etwa "Die Weihe des Hauses" zur Eroeffnung des Bundestages; rhetorisch wurde er jedoch kaum okkupiert. Die Beethoven-Forschung erlebte hier ihre psychologisierende Wendung, die keinem Mythos guttut und bezeichnenderweise von den DDR- I deologen heftig gescholten wurde. Letztere polemisierten auch gegen die Kommerzialisierung der Beethovenschen Musik, die von der westlichen Plattenindustrie als Zugpferd auf dem Klassikmarkt benutzt wurde. Dennis benutzt den Begriff des Mythos, der sich i n der Geschichtsschreibung in Anlehnung an Levi-Strauss derzeit grosser Beliebtheit erfreut, verzichtet jedoch auf eine theoretische Reflexion. Er beschraenkt sich auf die Interpretation von Quellen, manchmal sogar auf deren ausfuehrliche Wiedergabe. Das m a cht sein Buch zwar anschaulich, doch mangelt es an begrifflicher Schaerfe, die gerade bei einer epochenuebergreifenden, zu Vergleichen einladenden Untersuchung wichtig waere. Auch draengt sich der Verdacht auf, dass Beethoven im Kaiserreich und in der Wei m arer Republik nicht so wichtig fuer den politischen Kampf war, wie es der Autor darstellt. Der Vergleich zu Italien, wo Verdi aufgrund seiner Zeitgenossenschaft mit der Gruendung des Nationalstaats eine Zentralgestalt im Mythos des Risorgimento geworden i st, koennte hier lehrreich sein. \line \line Nicht zuletzt vermisst der Leser eine Antwort auf die Frage, warum das Beethoven-Bild gleichsam unberuehrt blieb vom pausenlosen Gebrauch und Missbrauch. Es scheint, als habe sich beim Publikum eine Art ueberzeitlicher Ker nmythos herausgebildet, der mehr dem genialen Komponisten als dem politischen Menschen Beethoven mit seinen unvermeidlichen Widerspruechen galt. An diesen Kernmythos konnten die Ideologen zwar immer wieder anknuepfen, aber offenbar hatten sie damit nur be grenzten Erfolg. Die Musik ist am Ende doch staerker als ihre politisierenden Interpreten. |